Die Nation Allianz bei der Pressekonferenz im CHP-Hauptquartier nach der Abstimmung für die 28. Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. (Foto: Evrim Aydın / Anadolu Agency, 15. Mai 2023)

Auf der Suche nach einer neuen Inspiration in der Opposition

Trotz der unsortierten Opposition liegt die psychologische Überlegenheit auf der Seite der Volksallianz. Um dies zu überwinden, kann die Opposition auf einen "Überlebens"-Diskurs zurückgreifen, der auf "wirtschaftlichen Problemen, Ein-Mann-Herrschaft und Flüchtlingen" basiert. Natürlich sind die Lebenshaltungskosten ein wichtiger Faktor, aber die Wahlen im Mai 2023 haben gezeigt, dass die Wähler auf mehrere Faktoren achten. Anders als bei den Parlamentswahlen ist die Frage des "Überlebens" bei den Kommunalwahlen weniger wirksam. Würde der Aufbau einer Koalition der Opposition für 2019 oder 2023 auf der Grundlage von Parteien die Wähler nach so vielen schlechten Erfahrungen überzeugen? Die Belastung durch neue Rivalitäten innerhalb von Parteien und Bündnissen ist ebenfalls offensichtlich. Die Äußerungen der rechten Parteien im Oppositionsblock, "mit eigenen Kandidaten in die Wahlen zu gehen", deuten in diesen Tagen auf die Sorge hin, ihre Wählerstimmen in der gesamten Türkei zu überblicken bzw. zu vermehren. Zähe Verhandlungen über eine Zusammenarbeit auf Provinzebene verunsichern jedoch die Wähler. Eine Kooperationsmodell mit ausschliesslicher Fokussierung auf Kandidaten (Personen, statt Partei) kann der Opposition keinen neuen Geist einhauchen.

Nach der Bekanntgabe von Ekrem İmamoğlus Entscheidung bei den nächsten Wahlen in Istanbul wieder zu kandidieren, dürfte die parteiintern kontroverse „Veränderungs“-Debatte in der CHP ihre frühere Dynamik verlieren. Obwohl die Vorbereitungen für den Parteitag der CHP noch nicht abgeschlossen sind, wird Parteichef Kılıçdaroğlu, der mit seinem grossen Einfluss bei den Delegierten als Vorsitzender  konfortabel wiedergewählt werden kann, die Agenda seiner Partei nach diesem Zeitpunkt besser kontrollieren können. Es scheint, dass die CHP noch eine Weile mit internen Abrechnungen beschäftigt sein wird.

Nach der Bekanntgabe von Ekrem İmamoğlus Entscheidung bei den nächsten Wahlen in Istanbul wieder zu kandidieren, dürfte die parteiintern kontroverse „Veränderungs“-Debatte in der CHP ihre frühere Dynamik verlieren. Obwohl die Vorbereitungen für den Parteitag der CHP noch nicht abgeschlossen sind, wird Parteichef Kılıçdaroğlu, der mit seinem grossen Einfluss bei den Delegierten als Vorsitzender relativ sicher wiedergewählt werden kann, die Agenda seiner Partei nach diesem Zeitpunkt besser kontrollieren können. Die CHP wird wahrscheinlich noch eine Weile mit dem internen Kräftemessen beschäftigt sein. In der Zwischenzeit wird die IYI Parteivorsitzende Akşener die neue politische Linie und die Argumente ihrer Partei nach dem 28. Mai in einer Rede am 26. August der Öffentlichkeit vorstellen. In gewisser Weise wird die IYI Partei ihre internen Querelen abschließen und zur Bewertung der Rolle der IYI Partei in der oppositionellen Nationalen Allianz (Millet Ittifaki) übergehen. Wir werden bald sehen, ob Akşener für sich einen dritten Weg zwischen der AK-Partei und der CHP einschlägt. Wenn man bedenkt, dass die Opposition die Niederlage vom 28. Mai innerhalb des Bündnisses nicht ausreichend aufgearbeitet hat, werden Akşeners Worte auch zeigen, ob sie sich darauf einlassen wird. Natürlich muss die Opposition angesichts der bevorstehenden Kommunalwahlen auch darüber reden, wieder zusammenzukommen. Das bedeutet, dass sie versuchen wird, eine neue unausgegorene Kooperations-/Bündnisarchitektur mit einer bis dato unvollständigen und unzureichenden Aufarbeitung zustande zu bringen. Die Parteiführer mögen sich aus Angst vor den bevorstehenden Wahlen vor einer Abrechnung drücken, aber es wird für sie nicht leicht sein, mit der Wut und Enttäuschung ihrer Wähler umzugehen.

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Tatsächlich kommen die Erfahrungen mit den Bündnissen 2019 und 2023 viele Oppositionsparteien teuer zu stehen. Während die IYI Partei bei den Wahlen 2019 keine einzige Gemeinde in der Provinz gewinnen konnte, kämpfte sie 2023 damit, 10 Prozent der Stimmen zu erreichen.

Sie konnte ihren Wählern ihre Zusammenarbeit mit der HDP und die gemeinsame Präsidentschaftskandidatur von Kılıçdaroğlu nicht erklären. 2019 gewann die CHP die Großstädte der Opposition, aber 2023 musste sie 38 Abgeordnete ihrer Liste an andere Parteien abgeben. Die CHP, die auch die Präsidentschaft verlor, konnte ihren Wählern den doppelten Verlust nicht erklären. DEVA, GP und SP, die für sich in Anspruch genommen hatten, den dritten Weg zu gehen, gaben diesen Anspruch auf und erhielten jeweils 10 Abgeordnete. Allerdings mussten sie dieses Ergebnis, das sie selbst als zu gering empfanden, gegenüber ihren Partnern mit dem Narrativ „Wir haben es verdient“ verteidigen. Das Bündnis von 2023 war sowohl für die HDP unanständig (da die anderen Oppositionsparteien HDP den Sitz an dem Sechser Tisch verwehrt haben) als auch für die HDP mit einem Stimmenverlust verbunden bei einem schlechten Ergebnis von 8%. Während die Bündnisse/Kooperationen von 2019 und 2023 der CHP teilweise Gewinne bescherten, verloren die anderen Bündnisparteien weitgehend.

In Oppositionskreisen wird nun das Argument „Wenn wir bei den Kommunalwahlen nicht gemeinsam auftreten, werden wir verlieren“ geäußert. CHP-Politiker und Kommentatoren suchen nach einer neuen Inspiration, um die Opposition zu mobilisieren und in Metropolen wie Istanbul und Ankara wieder zu gewinnen. Einige meinen, die Lösung bestehe darin, den Geist von 2019 wiederzubeleben. Andernfalls wird eine „Türkei ohne Opposition entstehen und die Regierung wird tun, was sie will“. Das erste, was einem in den Sinn kommt, ist, wieder ein „Istanbul- oder Ankara-Bündnis“ vorzuschlagen, d. h. CHP, IYI Partei und HDP/YSP sollten zumindest auf der Basis von Provinzen und Regionen zusammenarbeiten. Der neue Allianz-/Kooperationsdiskurs in der Opposition ist weit davon entfernt, eine kohärente politische, intellektuelle und psychologische Grundlage zu schaffen. Er steht sogar hinter dem Konsens der „gemeinsamen Politik“ zurück, der bei den Wahlen 2023 keinen Erfolg gebracht hat. Eine „Einheit der Politik und des Diskurses“, die über die Sorge um den Sieg bei den Kommunalwahlen hinausgehen kann, ist nicht in Sicht.

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Trotz der unsortierten Opposition liegt die psychologische Überlegenheit auf der Seite der Volksallianz. Um dies zu überwinden, kann die Opposition auf einen „Überlebens“-Diskurs zurückgreifen, der auf „wirtschaftlichen Problemen, Ein-Mann-Herrschaft und Flüchtlingen“ basiert. Natürlich sind die Lebenshaltungskosten ein wichtiger Faktor, aber die Wahlen im Mai 2023 haben gezeigt, dass die Wähler auf mehrere Faktoren achten. Anders als bei den Parlamentswahlen ist die Frage des „Überlebens“ bei den Kommunalwahlen weniger wirksam. Würde der Aufbau einer Koalition der Opposition für 2019 oder 2023 auf der Grundlage von Parteien die Wähler nach so vielen schlechten Erfahrungen überzeugen? Die Belastung durch neue Rivalitäten innerhalb von Parteien und Bündnissen ist ebenfalls offensichtlich. Die Äußerungen der rechten Parteien im Oppositionsblock, „mit eigenen Kandidaten in die Wahlen zu gehen“, deuten in diesen Tagen auf die Sorge hin, ihre Wählerstimmen in der gesamten Türkei zu überblicken bzw. zu vermehren. Zähe Verhandlungen über eine Zusammenarbeit auf Provinzebene verunsichern jedoch die Wähler. Eine Kooperationsmodell mit ausschliesslicher Fokussierung auf Kandidaten (Personen, statt Partei) kann der Opposition keinen neuen Geist einhauchen.

[Sabah, 19. August 2023]

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