Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (l.) und der russische Präsident Wladimir Putin (r.) halten nach ihrem Treffen am 4. September 2023 in Sotschi, Russland, eine gemeinsame Pressekonferenz ab. (Foto: Doğukan Keskinkılıç / Anadolu Agency)

Was geschah in Sotschi?

Die Botschaft von Sotschi lautet, dass Moskau noch eine Weile darauf warten wird, dass der Westen seine Versprechen einhält. Die Beziehungen zwischen der Türkei und Russland werden weiter gestärkt.

Heute ist Erdoğan der einzige Staatschef, der in der Lage ist, Diplomatie zu betreiben, indem er sich sowohl mit Putin als auch mit Zelenski trifft. Es ist ihm gelungen, dieses Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, ohne die Beziehungen zu Russland und der Ukraine zu beeinträchtigen. Der Getreidekorridor und der Gefangenenaustausch sind die wichtigsten diplomatischen Entwicklungen während des Krieges in der Ukraine. Aufgrund dieser Rolle waren die Augen aller Hauptstädte auf Sotschi gerichtet.

Wir waren gestern zu einem eintägigen Arbeitsbesuch von Präsident Erdoğan in Sotschi. Das Treffen zwischen Erdoğan und Putin fand zu einem Zeitpunkt statt, an dem die Notwendigkeit einer Erneuerung des am 17. Juli ausgelaufenen Getreidekorridor-Abkommens auf der Tagesordnung der Weltöffentlichkeit stand. Einige waren der Meinung, dass dieses Treffen „schwierig“ sein würde, wo doch die Beziehungen zwischen der Türkei und dem Westen neu belebt wurden, nachdem Ankara auf dem Gipfel von Vilnius grünes Licht für die NATO-Mitgliedschaft Schwedens gegeben hatte. Alle sind sich darin einig, dass zwischen Erdoğan und Putin eine ganz besondere Leaders-Diplomatie herrscht. Auch die Beziehungen zwischen der Türkei und Russland, die nach 2015 neu strukturiert wurden, haben ihre eigenen Merkmale. Um das Risiko einer Konfrontation in Syrien zu umgehen, haben die beiden Staatsoberhäupter die Zusammenarbeit in vielen Bereichen – von Energie über Tourismus bis hin zur Verteidigung – verstärkt und vertieft. Das Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern beläuft sich auf 69 Mrd. USD, das Ziel liegt bei 100 Mrd. USD. Nach dem Akkuyu-Kernreaktor wird auch über den Bau eines neuen Reaktors in Sinop verhandelt. Der Krieg in der Ukraine hat die türkisch-russischen Beziehungen in gewisser Weise verändert. Indem sich die Türkei nicht an den Sanktionen beteiligte, demonstrierte sie ihre strategische Autonomie und verfolgte eine bemerkenswerte Politik des Ausgleichs. Heute ist Erdogan der einzige Staatschef, der enge diplomatische Beziehungen sowohl mit Putin als auch mit Zelensky pflegt. Es ist ihm gelungen, dieses Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, ohne die Beziehungen zu Russland und der Ukraine darunter leiden zu lassen. Der Getreidekorridor und der Gefangenenaustausch sind die wichtigsten diplomatischen Entwicklungen während des Krieges in der Ukraine. Aufgrund dieser Rolle waren die Augen aller Hauptstädte auf Sotschi gerichtet. Als die Wagenkolonne von Präsident Erdogan durch die Straßen von Sotschi fuhr, zeigte sich das Interesse der Wartenden auf den Bürgersteigen manchmal in Form von Videoaufnahmen und manchmal in Form von Winken. Hintergrund dieses Interesses war die Nichtbeteiligung der Türkei an den Sanktionen, obwohl sie dem NATO-Bündnis angehört. Ein weiterer Faktor war Erdogans Fähigkeit, auf die Menschen zuzugehen, und seine zweifellos starken Führungsqualitäten.

An den Gesprächen in Sotschi nahmen neben dem Außenminister auch die Minister für Energie, Verteidigung, Finanzen, Industrie und Technologie, Land- und Forstwirtschaft sowie Handel teil, was auf die große Bandbreite der bilateralen Themen hinweist. Auch die Anwesenheit der Chefin des Zentralbank deutete auf den bilateralen Handel in nationaler Währung und nicht in Dollar. Der Leiter des Nationalen Nachrichtendienstes (MIT) brachte das Syrien-Dossier zur Sprache. Wie bekannt, sind wir Zeugen von ausserordentlichen Entwicklungen in Syrien. Die USA versuchen, den iranischen Einfluss zu begrenzen, indem sie die syrisch-irakische Grenze unter Kontrolle bringen. In Raqqa gibt es einen Konflikt zwischen der YPG und arabischen Stämmen. Und in Deir ez-Zor gehen die Anti-Assad-Demonstrationen weiter. In dieser Situation könnte das syrische Dossier das interessanteste Verhandlungsgegenstand sein. Erdoğan und Putin, die sich nach den Wahlen trafen, erörterten gestern in Sotschi wie bei jedem Gipfel eine breite Palette von Themen. Sie tauschten ihre Ansichten zu Themen aus, die vom Krieg in der Ukraine bis zu globalen Fragen reichen. Bei solchen Gipfeltreffen entscheiden die beiden Staats- und Regierungschefs über die Themen, die von ihren Delegationen im Detail besprochen werden. Die persönlichen Treffen bilden den Rahmen für strategische Bewertungen und einen Blick über den Tellerrand.

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Russland und die Ukraine haben einen alternativen Plan für einen Getreidekorridor. Kiew versucht, eine neue Strecke durch Bulgarien und den rumänischen Festlandsockel zu eröffnen. Moskau hingegen beklagt sich, dass der bestehende Korridor nicht wie versprochen funktioniert (er ist vom internationalen Zahlungssystem SWIFT ausgeschlossen und die Einfuhr von Düngemitteln ist nicht erlaubt). Ankara hat zusammen mit der UNO einen neuen Plan ausgearbeitet, der sowohl Russland als auch die Ukraine einbezieht. Ankara will nicht, dass das Schwarze Meer zu einer Konfliktzone wird. Seit zwei Monaten besteht die russische Seite darauf, dass der Westen seine Versprechen einhält, um zu dem Abkommen zurückzukehren. Auf der Pressekonferenz im alten Sanatoriumsgebäude betonten Erdogan und Putin die Vertiefung der Zusammenarbeit in bilateralen Fragen (Verwendung der Landeswährung, Zusammenarbeit im Nuklearbereich, ein Gasverteilungszentrum, Zusammenarbeit in der Landwirtschaft, das Ziel, den Tourismus zu fördern). Die Verhandlungen über den Getreidekorridor werden fortgesetzt. Putin sagte, der Westen habe sie getäuscht und das Getreide, das durch den Korridor fließt, komme nicht in den armen Ländern an. „Wenn die Sanktionen aufgehoben werden, wird der Korridor wieder in Gang kommen“, sagte er.

Er betonte auch, dass 1 Million Tonnen Getreide über die Türkei und in Zusammenarbeit mit Katar verschifft werden könnten. Erdoğan wiederum zeigte sich erfreut über die Eröffnung eines russischen Büros in der Türkischen Republik Zypern. In Bezug auf den Getreidekorridor sagte er: „Ich bin der Meinung, dass die Probleme beseitigt und fortgesetzt werden sollten.“ Er verwies auf die Zusammenarbeit mit der UNO. Er erklärte, er teile die Besorgnis Russlands über die Umleitung von Getreide nach Europa, das eigentlich an afrikanische Länder geliefert werden soll. Es wurde vereinbart, dass russisches Getreide verarbeitet und an afrikanische Länder geliefert werden soll. Die Botschaft von Sotschi lautet, dass Moskau noch eine Weile darauf warten wird, dass der Westen seine Versprechen einhält. Die Beziehungen zwischen der Türkei und Russland werden weiter gestärkt.

[Sabah, 5. September 2023]

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