Deutschland ist nicht unparteiisch im Hinblick auf die Krise im östlichen Mittelmeer

Das östliche Mittelmeer erhitzt die Gemüter seit Wochen. Die Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland über die Frage, in wessen Hoheitsgebieten die Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer liegen, spitzen sich weiter zu.

Das östliche Mittelmeer erhitzt die Gemüter seit Wochen. Die Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland über die Frage, in wessen Hoheitsgebieten die Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer liegen, spitzen sich weiter zu. Dabei bildet das Seerechtsabkommen der Vereinten Nationen, welches den Begriff des Festlandsockels definiert, die Grundlage dieser Krise. Geologisch betrachtet ist der Festlandsockel die unter Wasser gelegene Erweiterung des Festlandes. Laut UN-Bestimmungen reicht der Festlandsockel, beginnend von der Küstengrenze, 200 Seemeilen ins offene Meer. Aus diesem Grund definiert der Festlandsockel auch die Seegebiete umfassenden Hoheitsgebiete eines Anrainerstaates. Innerhalb dieses Gebiets darf der jeweilige Staat auch nach fossilen Energieträgern forschen, diese zu Tage führen und weiterverwerten. Somit kann der Anrainerstaat von diesem Recht Gebrauch machen und besagtes Gebiet als Ausschließliche Wirtschaftszone deklarieren.

Die Suche nach Gerechtigkeit

Weil sie ihre Hoheitsrechte als unberücksichtigt erachtet, hat die Türkei das UN-Seerechtsabkommen nicht unterzeichnet. Die Türkei ist der Ansicht, dass ihr Festlandsockel und die Grenzen ihrer wirtschaftlichen Hoheitszonen nicht anhand einer Mittellinie festgelegt werden können, da diese den Gerechtigkeitsansprüchen und der Verhältnismäßigkeit widerspricht. Außerdem vertritt sie die Ansicht, dass die Länge der Küstengrenze ebenfalls bei der Klärung und Lösung von Grenzkonflikten bestimmend sein sollte und kleinere Inseln, die zur Verzerrung dieser Grenzverläufe instrumentalisiert werden könnten, bei Bedarf ausgeschlossen werden sollten. (Die Insel Kastellorizo ist ein Beispiel dafür). Die unnachgiebige Verteidigung dieser Festlandsockelthese der Türkei kann besonders in Verbindung mit der Ägaisfrage als Ausdruck nationaler Interessen gesehen werden. Denn ansonsten würde das bedeuten, dass die Hoheit in der Ägais allein Griechenland zugesprochen würde.

Das östliche Mittelmeer hingegen befindet sich aufgrund ihrer geopolitischen Dimension und der entdeckten Energievorkommen in einer weitaus brisanteren Lage. Laut den geologischen Forschungen internationaler Firmen befinden sich im Levante-Gebiet des östlichen Mittelmeers ungefähr 1,7 Milliarden Barrel erschließbares Erdöl und 122 Billionen Kubikmeter Erdgas. Diese Entdeckung lässt nicht nur Griechenland, sondern auch die Europäische Union aufhorchen. Denn die Ausschließliche Wirtschaftszone Griechenlands bedeutet auch gleichzeitig die Kontrolle seitens der Europäischen Union. So gesehen ist es aus Sicht der Europäischen Union ebenso wichtig, mithilfe dieser Reserven, die energiepolitische Abhängigkeit von Russland zu verringern. Darüber hinaus erhebt die griechische Regierung in Südzypern den Anspruch auf das gesamte zypriotische Territorium, das sie nach ihrem vermeintlichen Festlandsockel parzelliert und somit die Deklarierung ihrer eigenen Ausschließlichen Wirtschaftszone für ganz Zypern ermöglicht, um internationalen Unternehmen die Nutzung besagter Energiereserven zu ermöglichen. Diese Schritte werden von der Türkei als Missachtung der Hoheitsrechte Nordzyperns und der Rechte zypriotischer Türken gesehen und somit zu verhindern versucht. Darüber hinaus versucht die Türkei mit ihrer von Kriegsschiffen begleiteten Erdgasexploration im östlichen Mittelmeer, diesem Unrecht entgegenzuwirken.

Die Doktrin des „Blauen Vaterlands“

Während all dieser Vorkommnisse, hat die Türkei ihre Seegebiete umfassende Doktrin des „Blauen Vaterlands“ entwickelt, die auch als ein Nationales Manifest betrachtet werden kann. Neben der klaren Grenzziehung im Schwarzen Meer, im Marmarameer, in der Ägais und im Mittelmeer, umfasst sie im Gesamten die Seegebiete, die im Rahmen der türkischen Hoheitsrechte beansprucht werden. Die Doktrin des „Blauen Vaterlands“ spiegelt die aktive und mit militärischer Präsenz begleitete, türkische Strategie in den Seegebieten wider. Das hierbei über erhebliche Wichtigkeit verfügende und den Grundstein dieser Doktrin bildende „MILGEM-Projekt“, umfasst die Entwicklung eines nationalen Kriegsschiffes, welches wiederum die maritime Sparte einer unabhängigen und auf inländischer Produktion basierenden Verteidigungsindustrie repräsentiert. Mit der Entwicklung dieses Projekts hat es die Türkei geschafft, ein auf inländische Ressourcen zurückgreifendes Kriegsschiff zu konstruieren, das auf die Erweiterung der nationalen Schiffbaukapazitäten abzielt. Die türkische Politik im östlichen Mittelmeer, die auf militärischer Abschreckung basiert, hat die EU-Türkei Beziehungen weiter verschärft. Beispielsweise hat die EU am 15. Juli 2019 eine Reihe von Sanktionen gegen die Türkei beschlossen. Außerdem hat Josep Borrell, Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, verkündet, dass abhängig vom Ausgang der Krise und mit dem Ziel der Verhinderung türkischer Gasexploration im östlichen Mittelmeer, ab dem 24. September 2020 weitere Sanktionen gegen Einzelpersonen, Eigentümer und Schiffe verhängt werden könnten. Es kann festgestellt werden, dass sich die geostrategischen Differenzen zwischen der Türkei und der EU im östlichen Mittelmeer noch weiter zuspitzen.

Besonders die französisch-griechische Annäherung und die Kooperation gegen die, im Rahmen der türkischen Doktrin beanspruchten Seegebiete, besitzen das Potenzial, die Krise noch weiter zu vertiefen. Zumal beobachtet werden kann, dass sowohl Griechenland, als auch die Türkei, in den letzten Tagen militärische Manöver im östlichen Mittelmeer abhalten.

Gründe für eine Initiative

Gründe für eine Vermittlerrolle der Bundesrepublik Deutschland im östlichen Mittelmeer

Weil die Bundesrepublik Deutschland seit dem 1. Juli 2020 den EU Ratsvorsitz innehat, nimmt sie die Rolle des Vermittlers in der türkisch-griechischen Krise im östlichen Mittelmeer ein. Entsprechend verkündet sie ihren festen Glauben an eine Lösung der Krise auf diplomatischem Weg. Indem die deutsche Regierung unterstreicht, dass im östlichen Mittelmeer keine weiteren Spannungen, sondern mehr Stabilität benötigt wird, ebnet sie den Weg für eine endgültige Beilegung des Streits über die Festlandsockel durch direkten Dialog. Die Vermittlerinitiative Deutschlands birgt auch die weitreichenden und mehrdimensionalen Verflechtungen und Beziehungen der Bundesrepublik mit der Türkei in wirtschaftlicher, politischer und humanitärer Hinsicht. Besonders nach dem Ausbruch der Covid-19 Pandemie und der Neuausrichtung der globalen Versorgungswege, gewann die Strategie der Verschiebung von Produktionsstätten in die europanahe Türkei an Bedeutung. Somit birgt der EU Ratsvorsitz der Bundesrepublik neue Chancen und Potenziale im Hinblick auf realistischere und auf gemeinsame Vorteile beruhende Beziehungen mit der Türkei.

Westliche Werte und Sicherheit

Die deutsche Vermittlerinitiative hat auch mit der strukturellen Transformation ihrer Außenpolitik zu tun. Die Grundlage der deutschen Außenpolitik beruht auf westlichen Werten und der Teilhabe am Verteidigungsbündnis. Besonders während des Kalten Krieges hat man in politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und militärischen Fragen weitreichende bilaterale Beziehungen zur USA aufgebaut. Sowohl diese, als auch die transatlantischen Beziehungen innerhalb der NATO, wurden noch von keiner deutschen Regierung in Frage gestellt. Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik der Moderne beruht auf Antimilitarismus und Multilateralismus. Weil eben diese antimilitaristische Ausrichtung auf historischen Erfahrungen beruht, betrachtet Deutschland militärisches Eingreifen als allerletztes Mittel und vertraut auf die Diplomatie, die sich in Sicherheitsbündnissen friedensstiftend manifestiert. Multilateralismus bedeutet hierbei, dass in außen- und sicherheitspolitischen Fragen, Interessenkonflikte mit Nachbarländern und internationalen Organisationen, in denen man Mitglied ist, vermieden werden und man als vertrauensvoller Partner zusammenarbeitet.

Mit der Vereinigung West- und Ostdeutschlands, dem Zerfall der Sowjetunion und der daraus resultierenden Unabhängigkeit war diese politische Kultur schrittweisen Transformationen ausgesetzt. Die neu gegründete Bundesrepublik sah sich in den 1990er und 2000er Jahren genötigt, einerseits die mit der Wiedervereinigung aufkommenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme zu bewältigen und andererseits Positionen in internationalen Krisen auf militärischer Ebene zu beziehen. In dieser Hinsicht hat besonders die Parteinahme der Bundesrepublik für eine NATO Intervention im Kosovo für Diskussionen in der deutschen Öffentlichkeit gesorgt. Ebenso hat sich Deutschland 2003 während der Hochphase des Irakkriegs gegen eine Unterstützung der USA als Besatzermacht ausgesprochen. In diesem Zeitraum hat Deutschland mit dem Ziel, ihre auf Exporte ausgerichtete Industrie mithilfe von sozialen und ökonomischen Reformen weiter zu stärken, den Transformationsprozess ihrer Außen- und Sicherheitspolitik verzögert. Schließlich haben die herausfordernden, letzten Jahre der EU in außen- und sicherheitspolitischen Fragen ermöglicht, dass Deutschland in der Libyenkrise gemeinsam mit den Vereinten Nationen agiert. Zumal Einigkeit darüber herrscht, dass die EU hinsichtlich der Reaktion und Prävention internationaler Krisen unzureichend agiert. Die Unfähigkeit der EU, konstruktive Lösungen für europäische oder globale Krisen zu entwickeln (Ukraine-, Syrien- oder Libyenkrise), oder die fehlende Solidarität und Kooperation der EU-Mitgliedsstaaten wie in der Flüchtlingskrise, hat die Bundesrepublik dazu gedrängt, die Außen- und Sicherheitspolitik der EU in internationale Organisationen und Drittländer einzubeziehen. Das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei ist ein Beispiel für diese Tendenz. Während der Umsetzung dieser Politik ist es besonders mit Frankreich zu Brüchen auf bilateraler Ebene gekommen. Somit hat Frankreich in einer konfrontativen Manier, die politischen Schritte Deutschlands öffentlich kritisiert und eine innerhalb der bilateralen Beziehungen seit Langem nicht mehr beobachtete, kontrollierte Spannungsstrategie verfolgt. Hierfür können folgende Beispiele genannt werden:

  1. Die Kritik des französischen Präsidenten Macron, wonach die in deutsch-russischer Zusammenarbeit entstehende Weiterleitung russischen Erdgases nach Europa durch das „Nord Stream 2 Projekt“ den EU Interessen nicht dienlich sei, und die stille Zustimmung von US-Sanktionen im Zusammenhang mit dem Projekt.
  2. Das Veto Frankreichs bezüglich der EU-Balkan-Öffnung durch Vollmitgliedschaften Albaniens und Nordmazedoniens, für das sich Deutschland besonders engagiert.
  3. Das Zitat von Macron, wonach die NATO einen „Hirntod erlitten hätte“ und Verurteilung davon seitens der Bundesrepublik.

Dennoch werden die deutsch-französischen Meinungsverschiedenheiten höchstwahrscheinlich nicht zu unkontrollierbaren diplomatischen Spannungen führen. Doch die potenzielle Sabotage der Vermittlerrolle Deutschlands im östlichen Mittelmeer durch Frankreich, ist eine nicht unterschätzbare Tatsache. Die französische Dominanzrolle während dieses Prozesses und die damit verbundene Manipulation und Ermutigung Griechenlands, sich nicht ohne Vorbedingungen an den Verhandlungstisch mit der Türkei zu setzen, waren abzusehen.

Die Fähigkeit des Vermittelns

Die Hauptfrage hierbei ist immer noch, ob die Bundesrepublik in der Ostmittelmeer-Krise zwischen der Türkei und Griechenland in der Lage ist, auf unabhängige und gerechte Weise zu vermitteln. Deutschland ist in jeder Hinsicht nicht unparteiisch. Auch die letzten Solidaritätsbekundungen des deutschen Außenministers Heiko Maas in Richtung Griechenland zeugen von dieser Perspektive. Die Krise im östlichen Mittelmeer wird als interne Angelegenheit der EU betrachtet, zumal die EU aus institutioneller Sicht das Transformationsziel hin zu einem supranationalen Staat verfolgt. Deutschland und Griechenland sind Teil dieser Vision. Außerdem werden die Erdgasreserven im östlichen Mittelmeer, wie zuvor schon erwähnt, zur Programmatik der europäischen Geo- und Energiepolitik genutzt. Letztlich ist nicht zu erwarten, dass die Bundesrepublik türkische Thesen in dieser Hinsicht unterstützt. Wir können somit beobachten, dass Deutschland um der EU-Solidarität gezwungenermaßen gerecht zu werden, ihre Position auf Seiten Griechenlands und der griechische Administration Südzyperns bezieht und dies stets verkündet. Andererseits ist jedoch auch zu bemerken, dass die Bundesrepublik ernsthafte Versuche unternimmt, um beide Parteien an den Verhandlungstisch zu bringen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass bereits die Libyenkrise gezeigt hat, dass Deutschland kein Akteur ist, der eine unparteiische und wirksame Vermittlerrolle einnehmen kann. Die begrenzte militärische Kapazität, das Fehlen des politischen Gewichts und der Präsenz in den Konfliktregionen („boots on the ground“), unterminieren eine aktive Vermittlungsfähigkeit. Ein potenzielles Zusammenkommen am Verhandlungstisch als Folge deutscher Einwirkung würde demnach von der deutschen Regierung als Erfolgsgeschichte gewertet werden.

Bezüglich der Krise im östlichen Mittelmeer ist Deutschland nicht unparteiisch. Doch Deutschland ist sich bewusst, dass eine Abwendung der Krise, Aufrichtigkeit bedarf.


Türkischer Text: https://www.setav.org/almanya-dogu-akdeniz-krizinde-tarafsiz-degildir/

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