Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (links), Präsidentschaftskandidat der Opposition, Kemal Kilicdaroglu (rechts)

Der Unterschied zwischen Erdoğan und Kılıçdaroğlu

Im Vergleich zwischen Erdoğan und Kılıçdaroğlu herrschen weit mehr Unterschiede als die Frage „Wer sollte im Namen der Türkei mit Putin sprechen“ aufzeigt.

Die Wahl am 14. Mai wird zwischen Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan und dem Vorsitzenden der CHP, Kemal Kılıçdaroğlu verlaufen. Die Wahlkampagnen, ihre Versprechen und die Wortgefechte beider Kandidaten zielen darauf ab, die bisher noch unentschiedenen WählerInnen zu ihren Gunsten zu überzeugen. Ich bin der Ansicht, dass die letzten 28 Tage von besonderer Bedeutsamkeit und das Rennen beider Kandidaten weiterhin Kopf an Kopf verläuft. Selbstverständlich verfolgen die WählerInnen aufmerksam die Versprechen beider Kandidaten für ihren Wirtschaftsalltag. Maßgebend am Wahltag und an der Urne wird für sie jedoch vielmehr die große Frage sein, wer die Türkei nach ihrer Ansicht von der Wirtschafts- über die Verteidigungs- bis hin zur Außenpolitik besser regieren kann.

Der entscheidende Impuls hierfür wird von der Auffassung bestimmt, wer von beiden Kandidaten für die souveräne Führung des Landes besser geeignet ist.

Nach der Jahrhundertkatastrophe vom 6. Februar stellt sich diese Frage auch im Hinblick auf die Bereitschaft unseres Landes auf Katastrophen und Risiken. Auch im Kontext zunehmender Ungewissheit und unerbittlicher Rivalität im internationalen System, gewinnt die Frage, wer die Türkei mit einer wirksamen und effektiven Außenpolitik führen kann, eine grundlegende Bedeutung.

Wesentlich wird also sein, welcher Kandidat vermehrt Zuversicht ausstrahlt und die Sorgen und Bedenken der WählerInnen zu nehmen vermag.

Als Kandidat der „Volksallianz“ sticht Erdoğan mit der Kenntnis und Erfahrung von über zwanzig Jahren und seiner aktiven Rolle auf der internationalen politischen Bühne hervor. Mit seinem Ansatz die Sicherheits-, Verteidigungs- und Außenpolitik der Türkei ganzheitlich zu betrachten, hat Erdoğan Ziele, seine bereits begonnene Türkei zentrierte Perspektive fortzuführen und zu stärken.

Während Erdoğan, im Bewusstsein, dass es unter Umständen auch zu Spannungen mit den USA, Russland und einzelnen regionalen Staaten kommen kann, den Gebrauch von „hard power“ zwischen 2016 und 2020 anwandte, hat er dessen Errungenschaften für die Türkei mit einer anschließenden Politik der Normalisierung in den letzten zwei Jahren konsolidiert.

Nach den Vereinten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien und Israel wird dieser Prozess nun derzeit mit Ägypten geführt. Nach dem Rückzug der USA aus Afghanistan und dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist die Diversifizierung der Bündnisse und die Normalisierung angespannter, bilateraler Beziehungen im Nahen Osten zum aktuellen Trend in der Region geworden. Die Neutralität der Golfstaaten im Russland-Ukraine Krieg sowie die Normalisierungstendenzen der Beziehungen Chinas zum Iran und zu Saudi-Arabien weisen auf neue Machtkonstellationen in der Region hin. Auch die strategische Autonomiebestrebung des französischen Präsidenten Macron für Europa und die Bemühungen, sich aus der Taiwan-Krise herauszuhalten, deuten in globaler Hinsicht auf die zunehmende Heterogenität des Interessenspektrums der großen Mächte hin. Einer der aktivsten Staaten dieser neuen, regionalen und globalen Entwicklungen ist die Türkei unter der Führung Erdoğans.

Das größte Defizit im politischen Profil von Kılıçdaroğlu ist wohl die Außenpolitik, sowie Sicherheits- und Verteidigungsanliegen. Neben einer vermeintlichen Normalisierung, der Kontaktaufnahme mit Syrien und der Gründungsabsicht einer Nahost Organisation kommen keine ernsten Vorschläge von der CHP.

In dem „Abkommen zur Einigung über gemeinsame politische Ziele“ des sogenannten Sechser Bündnisses/Tisches, das auch „Allianz der Nation“ (Millet İttifakı), genannt wird, hatte sich bereits gezeigt, dass die Opposition in Fragen der Außenpolitik durchaus zerstreut und unbestimmt ist.

Gespickt ist dieses Abkommen zudem mit platten Floskeln wie „nationale Interessen“, „Institutionalisierung gleichberechtigter Anliegen“ oder „Förderung von Bündnispartnerschaften auf Basis gegenseitigen Vertrauens“, denen niemand widersprechen würde. Während gerade eben die Politik der USA hinsichtlich der PKK und FETÖ und die US-Politik in Syrien der „Partnerschaft“ und einer „gleichberechtigten Beziehung“ widerspricht, sind die Beziehungen der Türkei zu den USA auf dem aktuellen Stand. Die Unterstützung der maximalistischen Forderungen Griechenlands durch die EU sind der Grund für die aktuelle Lage in Zypern und im Mittelmeer.

Die außenpolitischen Ansätze der Opposition weisen auf eine offensichtliche Unkenntnis der Risiken und ernsten Gefahren hin, die sich im Falle der Destruktion der sensiblen Balance unserer USA-Russland Politik, begonnen mit Syrien, auf zahlreiche Bereiche und Regionen ausbreiten würde. Mit Russland im Namen des Westens in ein Spannungsverhältnis einzutreten oder gar aufs Feld geschickt zu werden, würde unsere nationalen Interessen nachhaltig schädigen.

Der Verzicht auf unsere bestehende, von nationalen Interessen geleitete und autonome Politik gegenüber der NATO und der EU und die Fügung zu einer  Abhängigkeit von westlichen Hauptstädten sind für Fragen wie Zypern, Syrien und dem Kampf gegen den Terror kein Erfolg, sondern existenzielle Einbußen.

So scheint der Vorschlag der CHP, mit dem Iran, Irak und Syrien zusammenzukommen und eine Kooperationsplattform (OBİT) zu gründen, auf dem Papier zwar ansehnlich, doch sie entbehrt jeglicher Kenntnis real existierender Widersprüche. Ebenso, wie die Unkenntnis der Widersprüche zwischen der Absicht, syrische Flüchtlinge zügig in ihr Land zurückzuschicken und die Beziehungen zur EU und den USA zu verbessern.

Diese inkonsequente und unbeständige Herangehensweise weckt für den Fall einer Kılıçdaroğlu Regierung, ernste Sorgen, dass die Terrororganisationen PKK-YPG in Syrien und im Irak, sowie die FETÖ, erstarken und neue Handlungsräume bekommen.

Im Vergleich zwischen Erdoğan und Kılıçdaroğlu herrschen weit mehr Unterschiede als die Frage „Wer sollte im Namen der Türkei mit Putin sprechen“ aufzeigt.

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