Die Corona-Krise: Eine Herausforderung für den deutschen Föderalismus?

Die globale Corona-Krise führt vor Augen, welche Schwierigkeiten die föderale Struktur Deutschlands aufweist. Alleingänge sollten momentan vermieden werden - ebenso überzogene Schlussfolgerungen für die Zukunft.

Die globale Corona-Krise führt vor Augen, welche Schwierigkeiten die föderale Struktur Deutschlands aufweist. Alleingänge sollten momentan vermieden werden – ebenso überzogene Schlussfolgerungen für die Zukunft.

Der Erfolg eines funktionierenden politischen Systems geht auf eine Vielzahl von verschiedenen Faktoren zurück. Daher ist es unerlässlich, die Leistungskapazität eines solchen Systems sowie dessen Bestandteile auch in Krisenzeiten unter die Lupe zu nehmen, um mögliche Verbesserungsansätze entwickeln zu können. Dies erscheint jedoch angesichts der gegenwärtigen Corona-Pandemie leider nicht sehr einfach, da es an medialer aber auch politischer Desinformation nicht mangelt. Wir dürfen dabei insbesondere den Umstand nicht außer Acht lassen, dass politische Systeme seit jeher von vornherein sowohl auf günstigen als auch auf weniger erfreulichen Erfahrungen basierend entworfen werden. Diese in frühen Zeiten angelegten und rechtlich gültigen Mechanismen mögen zwar angesichts sehr dringender und besonderer Herausforderungen nicht die öffentlichkeitswirksamste Relevanz aufweisen, doch eine komplette Ablehnung dieser historisch-politisch formierten Vorrichtungen scheint ebenso nicht Sinn der Sache zu sein.

So ist es für viele Bürgerinnen und Bürger eines Staates ein Rätsel, welche unerwarteten Entwicklungen einer Krise folgen könnten. Diese Schwankungen verursachen wiederum innere Unruhen in den Köpfen dieser Menschen hinsichtlich des gesellschaftlichen und beruflichen Alltags. Zudem erscheint es angesichts der internationalen Verflechtung und der sich permanent fortsetzenden Globalisierung immer schwieriger, politische Systeme nach generellen demokratischen Vorzeichnungen zu untersuchen und dementsprechend pauschale Verbesserungsvorschläge vorzulegen.

Wer darf und soll in Krisen-Zeiten den Ton angeben?

Angesichts der globalen Corona-Krise ist es auch in diesen Tagen sehr relevant (wenn auch nicht medienwirksam), insbesondere den Status Quo des politischen Systems der Bundesrepublik bzw. die politischen Gestaltungsmöglichkeiten der Exekutive infrage zu stellen. Gewiss ist es viel zu früh, sich der Frage zu widmen, ob hinsichtlich der staatlichen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus die föderale Struktur der Bundesrepublik sich als angemessen erwiesen hat. Ebenso erscheint es nicht ganz durchdacht zu sein, die politisch dezentralisierte Struktur hierzulande und dessen höchsteigenen Erfahrungsweg mit anderen westeuropäischen Demokratien oder gar mit autoritären Staaten zu vergleichen. Ob beispielsweise der französische Staatspräsident, der in Bezug auf seine sehr weitreichenden Machtbefugnisse auch als „republican monarch“ betitelt wird, viel effektivere Maßnahmen im Gegensatz zur Bundesrepublik getroffen hat, oder gar in absehbarer Zukunft sein Land aus der Krise führen wird, kann im Augenblick keineswegs beantwortet werden. Ebenso irritiert es den einen oder anderen sehr, wie leichtsinnig mit der kommunistisch-diktatorischen Volksrepublik China und deren Maßnahmen, die unter anderem auf kompletter Abriegelung bestimmter Provinzen und Zensur beruhen, Vergleiche gezogen werden können.

Man könnte allerdings vortragen, dass dies der jetzige Zeitpunkt sei, Verantwortung zu übernehmen und Taten in Gang zu setzen. Staatschefs, die nicht endenden Diskussionen ausgesetzt sind und sich dementsprechend zu zögerlichen Entscheidungen begeben müssen, geraten immer mehr in Kritik. Es entsteht dadurch ein äußerst interessanter Trend, demzufolge beispielsweise eher Ministerpräsidenten bestimmter Bundesländer den Ton angeben oder sogar einen Alleingang in Erwägung ziehen, um der gesamten Bundesrepublik entsprechend ein Verhaltensbeispiel vorzulegen. Womöglich mit der Hoffnung, dass jene noch zögerlichen Entscheidungsträger der restlichen Bundesländer mit ähnlichen Mindestmaßnahmen nachziehen. Hier tritt der Freistaat Bayern besonders in Erscheinung, dessen Ministerpräsident Markus Söder (CSU) medial unübersehbar zum Vorschein tritt. Nachdem er den Katastrophenfall ausgerufen hatte, verhängte er anschließend eine Art de facto Ausgangssperre – während der Bund und alle anderen Länder weiterhin auf eine generelle Kooperation „abwarteten“. So schien es nicht überraschend zu sein, dass einige Stimmen aus den Bundesländern diesen Kurs Söders kritisierten und ihm beim Thema Ausgangsbeschränkungen verärgert einen Alleingang unterstellten. Eine lebendige Diskussion zwischen dem Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, und des bayerischen Landesvaters Markus Söder war von Anfang an unvermeidlich, da am vergangenen Sonntag sämtliche Länderregierungschefs sich via Videokonferenz mit Bundeskanzlerin Merkel zusammenfanden, um einen Mindestkonsens im Thema Ausgangsbeschränkungen zu finden.

Ein schwieriger Balanceakt für die Opposition in Krisenzeiten?

Ungeachtet der gemeinsamen aber auch landesspezifischen Maßnahmen, ist ein sehr interessanter Trend festzustellen, der wiederum das bundesrepublikanische Leben der deutschen Gesellschaft nachhaltig beeinflussen oder gar verändern könnte. Trotz der drastischen Schritte, die Bund und Länder in den letzten Tagen und Wochen unternommen haben, welche das öffentliche Leben drastisch beschränken, bleibt es weiterhin bei einer ausschließlich friedlichen Atmosphäre innerhalb der Gesellschaft. Dies ist womöglich auch unter anderem damit zu begründen, dass – abgesehen von der AfD – auf bundespolitischer Ebene eine zumindest relativ parteiübergreifende Zusammenarbeit entstehen konnte. Auch sehr liberale und kritische Kreise sowie bürgerrechtliche Bewegungen unterlassen zurzeit die eigentlich gewohnte Kritik gegenüber der Bundesregierung – ebenso gegenüber der konservativen Staatsregierung im Freistaat Bayern. Sicherheitsvorkehrungen genießen zurzeit somit den Vorrang auf allen politischen Entscheidungsebenen, während aber auch einige Oppositionsstimmen nach und nach kritische Äußerungen zum Ausdruck bringen – ohne jedoch den bereits verzweifelten Bürger ferner zu verschrecken. So verkündete kürzlich der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, dass zwar der „jetzige Zustand verhältnismäßig“, auf Dauer aber „unerträglich“ sei. Ob in den nächsten Tagen weitere Töne aus dieser Richtung maßgebend sein werden, bleibt offen.

Schwierig wird es aber für Oppositionsparteien neben dieser verhältnismäßigen Unterstützung der Exekutivorgane, den zügigen Entscheidungsmechanismen auch mit Maß entgegenzuwirken. Denn jede Staatshandlung wird letzten Endes mit dem „legitimen“ Ziel unternommen, „Leben zu retten“ sowie die wirtschaftliche Existenz der Bürger zu sichern. Dennoch sollte nicht die Gefahr übersehen werden, dass auch in Deutschland im Zuge der Corona-Bekämpfung bestimmte chinesische Verhältnisse übernommen werden könnten. So wurde anfänglich die Frage auch in Deutschland aufgegriffen, ob angesichts der Corona-Krise auch private Mobiltelefondaten der Bürger zur Eindämmung des Virus eingesetzt werden sollten, wie es beispielsweise in China der Fall ist. Doch nach Unstimmigkeiten und berechtigter Kritik wurde dieser Plan zumindest vorerst nicht weiterverfolgt. Die Frage, ob ein solch komplizierter und äußerst umstrittener Schritt in den nächsten Wochen neben den bereits eingeführten drastischen Einschränkungen des öffentlichen Lebens dennoch in Betracht gezogen wird, bleibt gegenwärtig offen.

Zukünftige Gesetzesänderungen bezüglich Entscheidungsmechanismen

Die Behauptung, dass sich die Krise und die Bekämpfung des Corona-Virus längst in einen „Kampf der Egos“entwickelt habe, in der auch die Führungsschwäche der Bundeskanzlerin wieder einmal zum Vorschein komme, erscheint jedoch aus dem Kontext gerissen und angesichts der sich noch im Anfangsstadium befindenden Pandemie äußerst überspitzt zu sein. Gewiss ist es unvermeidlich und bereits jetzt schon zu vermuten, dass nach der Krise bestimmte Änderungen in der Gesetzeslage durchgeführt werden müssen, um in Zukunft noch effektiver ähnliche Krisen zu bewältigen. Dennoch sollten voreilige Analysen vermieden werden, die irreführende Schlüsse verursachen und die aktuell komplizierte Lage vor allem in Bezug auf das politische System Deutschlands weiter durcheinanderbringen könnten. Ebenso wäre es angebracht, auch in Krisenzeiten wie in der aktuellen Corona-Krise in Betracht zu ziehen, dass das deutsche Grundgesetz, anders als viele Staaten in Europa, bewusst kein ähnliches Notstandsrecht kennt. Dies lässt sich letzten Endes auf die Weimarer Verfassung zurückführen, in der die Notstandsgewalt in den Kompetenzbereich des Reichspräsidenten gelegt wurde. Eine Kompetenz, die in der Bundesrepublik aufgrund wohlberechtigter Sorgen und katastrophaler Erfahrungen aber so nicht vorhanden ist.

In einer Krisenzeit, in der beschleunigte Entscheidungsprozesse stattfinden und in der es um Leben und Tod geht, kann jeder Schritt zu spät kommen. Deutschland spürt gegenwärtig, wie das geltende politische System und seine Erfahrungen und Errungenschaften nun auf die Probe gestellt werden. Die Frage, ob die jeweiligen Entscheidungsträger in Deutschland die aktuell eingeleiteten Maßnahmen auch konsequent durchsetzen werden können, lässt sich nicht von vornherein beantworten. Geschweige denn, ob diese Schritte erfolgreich sein werden. Dass es in den nächsten Wochen an weiteren Möglichkeiten nicht mangeln wird, lässt sich aber bereits jetzt erahnen. So führt die globale Corona-Krise vor Augen, welche Schwierigkeiten die föderale Struktur Deutschlands aufweist. Trotz sogenannter Alleingänge einiger Akteure, die letzten Endes auch positive Ergebnisse mit sich bringen könnten, sollten überzogene Schlussfolgerungen und leichtfertige Lösungsansätze im jetzigen Moment möglichst vermieden werden. Es wäre eher angebracht, nach der Krise alle Umstände und Tatsachen umfangreich abzuwägen und verschiedene Handlungsmöglichkeiten für künftige Krisen in Betracht zu ziehen.

[TRT Deutsch, 27 März 2020]

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